News Frühjahr 2016

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Nur an den Genen kann es nicht liegen, wie sich ein Mensch entwickelt, denn 98% unserer Gene sind dieselben wie bei den Primaten und 95% sind sogar mit denen der Stubenfliege ident. Einfach erklärt sind die Gene die „Hardware“, das Epigenom – es besteht aus einem 2 m langen DNS-Faden, der um die Histone herumgewickelt ist – die „Software“. Epigenetik gilt als das stoffliche Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen: Sie bestimmt mit, unter welchen Umständen welches Gen angeschaltet wird und wann es wieder stumm wird („Genschalter“). Experten sprechen hier von „Genregulation“. Thomas Jenuwein, Epigenetiker aus Freiburg, sagt: „Die Epigenetik beschert uns die Freiheit, als einmalige, unverwechselbare Individuen zu leben“. Gene sind lebenslang in Bewegung und beeinflussbar, besonders sensible Phasen für Veränderungen sind die Schwangerschaft, die Geburt und die ersten Jahre danach, sowie die Pubertät.

Ernährung und Epigenetik

Aus der Tierwelt kennen wir Beispiele, dass sich z.B. genetisch gleiche Bienenlarven durch unterschiedliche Ernährung ab einem kritischen Zeitpunkt entweder zu Arbeiterbienen oder Königinnen entwickeln. Daraus ergibt sich für den Menschen, dass er in der sensiblen Phase nach der Geburt gestillt werden sollte. Bodo Melnik sagte 2013: „Muttermilch ist nicht nur Nahrung, sondern ein Signalsystem zwischen Mutter und Neugeborenem. Es ist ein Geburtsrecht des Kindes, dass es Muttermilch erhält.“

Beziehung und Epigenetik

Nicht nur die Ernährung, auch menschliche Beziehungen haben nachhaltigen Einfluss auf das Epigenom und somit auf das Leben und die Gesundheit. Ein Säugling zum Beispiel, der zu wenig Liebe und Geborgenheit erhält, kann nicht nur Bindungsprobleme bekommen, sondern auch biologisch nachweisbar Störungen im Stresshormon-System haben. Dirk Hellhammer, Psychobiologe, sagt: „Veränderungen der Epigenetik während der Schwangerschaft und in den ersten Monaten nach der Geburt eines Kindes scheinen der wichtigste Faktor bei der späteren Stressverwundbarkeit eines Menschen zu sein. Und je jünger die Gene sind, desto leichter sind sie beeinflussbar. Intrauterin und post partum sind Ungeborene / Neugeborene „formbarer“ als später. Eltern haben es also in der Hand aus ihren Kindern Menschen zu machen, bei denen Stresskrankheiten vergleichsweise wenig Chancen haben.“ Daraus ergibt sich eine neue medizinische Verantwortung schon bei Schwangeren. Denn ob ein Kind im Mutterleib Zuwendung oder Achtlosigkeit, ausgewogene Ernährung oder Fast Food, Liebe oder Gleichgültigkeit, Angst und Schrecken erfährt, wirkt sich durch die Speicherung in epigenetischen Vorgängen eben zum Vorteil oder Nachteil des Kindes aus. Schwangere müssen vordringlich beraten werden bezüglich Ernährung und Lebensweise.

„Das Kind ist, was die Mutter isst“

„Mens sana in Corpore sano“ – in einem gesunden Körper steckt ein gesunder Geist. Dicksein beginnt oft schon im Mutterleib. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch nun weiß man, dass die Übertragung nicht nur genetisch bedingt ist, sondern durch den epigenetisch – durch falsche Ernährung und wenig Bewegung – geprägten Stoffwechsel. Gerade für diese Kinder ist Stillen besonders vorteilhaft – als Vorbeugung gegen Übergewicht und all seine Folgen. Gesunde Nahrungsmittel mit epigenetischem Effekt sind z.B. Speisen mit Vitamin B12, wie Fisch, Fleisch, Milchprodukte, Grüner Tee, Kurkuma und Sojaprodukte. Daneben ist es wichtig, dass die Mutter genügend Eiweiß in ihrer Schwangerschaft zu sich nimmt, sich ausgewogen und gesund ernährt, dabei weder zu viel, noch zu wenig isst. Auch chronischer Stress in der Schwangerschaft kann sich auf das Baby auswirken – chron. entzündliche Erkrankungen, Adipositas, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Depressionen (auch bei der Mutter) und Lernbeeinträchtigungen können die Folge sein. Hinweise auf epigenetische Einflüsse auf ADHS / Hyperaktivität mehren sich. Ebenso wirkt sich chronischer Stress durch mangelnde postpartale Bindung des Neugeborenen an die Bezugspersonen aus: Es können ähnliche Folgen für das Kind entstehen wie bei intrauteriner Stressbelastung, Hypertonie, und Herz- Kreislauferkrankungen bis zum Metabolischen Syndrom. Alkohol in der sensiblen Phase – 3. SSW – kann schon in kleinsten Mengen eine breite negative Wirkung auf die Gehirnentwicklung haben. Wenn die Mutter raucht, dann bewirkt dies nicht nur eine Verminderung des Wachstums des Kindes, sondern es vermindert auch ein Stress-Schutz-Enzym.

Auswirkungen der Sectio

Besonders wichtig in Zeiten hoher Kaiserschnittraten ist die Erkenntnis, dass auch diese Form der Geburt epigenetischen Einfluss auf die Kinder hat. So haben Babys, die per Sectio geboren werden, 2x häufiger Atemstörungen, doppelt so viel Asthma, mehr Lebensmittelallergien. Auch ist das Risiko, an Typ 1 Diabetes oder Adipositas zu erkranken um 20% erhöht. Dies ist wiederum positiv beeinflussbar durch Stillen. Hautkontakt und Bonding während des Kaiserschnitts hat positiven Einfluss – sowohl hormonell über Oxytocin/Cortison, als auch über das Mikrobiom (Haut- und Darmkeime) – auf o.g. Folgeerkrankungen und ist zu fördern.

Epigenetische Effekte des Stillens

• Muttermilch (MM) beugt autoimmunen und allergischen Erkrankungen vor.

• MM beugt Übergewicht bei Mutter und Kind vor.

• Stillen und MM können Auswirkungen des Kaiserschnitts bzw. Allergien, Risiko für Typ 1 Diabetes und Atemstörungen mildern.

• Bestandteile der MM haben epigenetische Einflüsse, z.B. Prebiotika, sIgA, Zytokine, Laktoferrin, Prostaglandin J, Cholesterol.

• Muttermilch enthält genetisches Material, z.B. Stammzellen,

Micro-RNA. Micro-RNA überbringt genetische Informationen der Mutter via Exosomen zum Kind. Bode Melnik sagt: „Die derzeit verfügbare Formula-Ernährung ist kein adäquater Ersatz für Muttermilch. Sie gewährleistet nicht die korrekte metabolische, immunologische und neurovaskuläre Reifung des Neugeborenen“. Er meint sogar, dass die Rezeptpflicht für Formula- Nahrung eingeführt werden sollte. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass neben der Ernährung also auch unsere Lebensweise Einfluss auf unseren Körper hat – beides wirkt in den Zellen, im Gehirn und in weiterer Folge auf unsere Kinder und Enkelkinder. Der Mensch ist ein soziales Wesen: Je mehr Sicherheit und Zuwendung wir als Babys erfahren, umso stressresistenter (gesünder) werden wir später. Nach Prof. J. Bauer, Freiburg, ist „Zuwendung und Liebe für unser Gehirn der stärkste Motivator“. Wenn wir also Verantwortung für unseren Lebenswandel übernehmen, Stress abbauen und Fürsorge zeigen, vererben wir Liebe und Gesundheit.