News Frühjahr 2020

Hier geht es zur kompletten Ausgabe News Frühjahr 2020

Flexible Arbeitszeiten, flexible Arbeitsorte und sich verändernde Familiensituationen stellen neue Herausforderungen dar, gleichsam ebnen gesetzliche Bestimmungen den Weg für erwerbstätige, stillende Frauen. Als Stillberater- Innen ist es unsere Aufgabe, Frauen informierte Entscheidungen für ihre Stillbeziehung zu ermöglichen. Gerade im Kontext Stillen und Arbeiten werden diese Entscheidungen sehr stark durch persönliche Ressourcen und Vorstellungen der stillenden Frau getragen. Auch individuelle Anforderungen, strukturelle Gegebenheiten und örtliche Infrastruktur müssen hier Bedacht erfahren. Ausmaß der Arbeitszeit und Alter des gestillten Kindes sind ebenfalls für die Beratung relevante Aspekte. Leiten wir die Betrachtungen in die Praxis:

Neben Fragen zur Versorgung des Kindes zu Hause, der Wahl der Fütterungsmethode, dem Fortführen der Stillbeziehung zu Hause und Fragen zu generellen hygienischen Aspekten in diesem Kontext, stehen vor allem auch praktische Überlegungen zum Thema Gewinnen von Muttermilch und Stillen am Arbeitsplatz im Fokus der Beratung.

Die erste Frage, die sich stellt: Soll das Kind für die Stillmahlzeit zur Mutter gebracht werden oder ist das gewählte Vorgehen eine Muttermilchgewinnung vor Ort?

Das Kind wird für die Stillmahlzeit zur Mutter gebracht

Wenn es die Rahmenbedingungen erlauben und die Mutter dies als ihren Weg definiert, kann eine Betreuungsperson mit dem Kind in den Pausen zur Arbeitsstelle kommen und das Kind vor Ort gestillt werden. Folgende Aspekte sind hier zu bedenken:

Ist die Betreuungsperson mobil? Wie lange ist die Wegstrecke und wie gut ist diese für Kind und Betreuungsperson zu bewältigen? Wird das Kind durch den Transport in seinem individuellen Tages- oder Schlafrhythmus gestört und erfährt die Situation dadurch Stressmomente? Sollte im Einzelfall ein Transport nicht möglich sein (Wechsel der Betreuungsperson, krankes Kind etc.), wie sieht der Alternativplan aus? Wie bewältigt das Kind die Trennung von der Mutter nach der Stillmahlzeit? Eine Mutter berichtet aus der Praxis:

„Mein erstes Kind kam manchmal mit dem Papa in den Pausen vorbei um zu stillen. Wir wohnten ganz in der Nähe und sie haben es einfach mit einem Spaziergang kombiniert. Es stillte, war glücklich und die beiden fuhren weiter. Bei meinem zweiten Kind war das unmöglich – es konnte mit der erneuten Trennung ganz schwer umgehen, mein Mann war extrem gefordert, es in Folge wieder zu beruhigen. Es war sehr stressig für uns alle. Ich habe mein zweites Kind dann nur mehr zu Hause gestillt, das hat wunderbar funktioniert.“

Muttermilch gewinnen vor Ort

Entscheidet sich die Mutter für Pumpen/Milchgewinnung vor Ort, müssen folgende Fragen im Vorfeld (auch mit dem/der ArbeitgeberIn) geklärt werden: Welchen ruhigen Ort gibt es, an dem sich die Frau zurückziehen kann? Ist dort ein Stromanschluss vorhanden? Gibt es vor Ort die Möglichkeit, sich die Hände zu waschen? Wo kann die gewonnene Milch aufbewahrt werden? Wie wird die gewonnene Milch gekennzeichnet? Müssen Materialien aufbereitet werden und wenn ja, wo? Wie oft wird voraussichtlich eine Gewinnung von Muttermilch notwendig sein, um die Milchbildung entsprechend dem Bedarf des Kindes aufrechtzuerhalten? Wie transportiert die Frau die gewonnene Muttermilch nach Hause? Eine Mutter erzählt, wie ihr Lösungsweg diesbezüglich ausgesehen hat:
„Ich hab immer in mitgebrachte Becher ausgestrichen, diese mit Datum und Uhrzeit gekennzeichnet und in einer strombetriebenen Kühlbox gelagert. Das war mir irgendwie angenehmer als im Gemeinschaftskühlschrank. Und ich musste so auch nie die Kühlkette unterbrechen, weil ich die Box dann einfach mit nach Hause nahm.“ ArbeitsmedizinerInnen vor Ort stellen für spezifische infrastrukturelle Fragen die 1. Anlaufstelle dar. Eine Mutter berichtet:
„Bereits als ich schwanger war kam die Arbeitsmedizinerin zu mir und informierte mich darüber, wo eine Rückzugsmöglichkeit für Schwangerschaft und Stillzeit im Betrieb vorhanden ist“.

Die Information der Mütter über Aufbewahrung von Muttermilch ist wichtig. Hieraus kann die Mutter ableiten, welche Ressourcen sie im individuellen Fall benötigt, um diese Empfehlungen umzusetzen. Ebenso muss die Frau über Möglichkeiten und praktische Durchführung der Muttermilchgewinnung informiert sein: Per Hand entleeren, mit Handpumpe oder elektrischer Pumpe? Die Entleerung von Muttermilch per Hand zu erwirken stellt eine wichtig Kompetenz für jede stillende Frau dar, als generelle Form der Muttermilchgewinnung oder als „Notfallmaßnahme“. Hier sagt eine Mutter:
„Am Anfang hat es manchmal gespannt, ich hab dann einfach ausgestrichen und die Milch aufgefangen. Ausstreichen habe ich geübt bevor ich wieder arbeiten ging. Ich habe dann nie eine Pumpe benötigt, mein Kind war da aber auch schon 14 Monate alt“.

Wird die Muttermilch durch Abpumpen gewonnen, ist die Pumpfrequenz abhängig von Alter und daraus resultierendem Milchbedarf des Kindes. In der Beratung ist somit anamnestisch wesentlich zu erfragen, wie oft das Kind vor Eintritt in die Erwerbstätigkeit gestillt wurde. Daraus lässt sich eine entsprechende Empfehlung ableiten: Hat die Milchgewinnung das Ziel, die Milchproduktion aufrecht zu erhalten oder dient die Entleerung der Brust der Entlastung selbiger? Eindrücke aus der Praxis schildert diese Mutter:
„Am Anfang war da schon eine Hemmschwelle, alle wussten: Die geht jetzt gleich und pumpt Milch aus ihren Brüsten! Und manchmal gab es auch abwertende Kommentare. Aber mit jedem Mal wurde ich sicherer. Ich habe die Tür versperrt, ein Video oder Bild von meinem Kind am Handy betrachtet und gepumpt. Das ging wirklich gut und mit der Zeit konnte ich diese Pumppausen auch wirklich als das sehen, was sie sind: Exklusivzeit für mein Kind, auch wenn es nicht vor Ort ist.“

Stillen und Arbeiten ist normal. Es ist vereinbar. Bestärken wir Familien dabei, hier informierte Entscheidungen zu treffen – unter Berücksichtigung ihrer individuellen Vorstellungen und Ressourcen.