News Frühjahr 2021
Hier geht es zur kompletten Ausgabe News Frühjahr 2021
Vegetarisch oder vegan in der Babyzeit
Die fleischlose Ernährung bzw. Ernährung gänzlich ohne tierische Produkte gewinnt immer mehr an Popularität. Daher hat die österr. Ernährung Kommission im Vorjahr ein Konsensus Papier zum Thema veröffentlicht, in dem es auf kritische Punkte und mögliche Nährstoffdefizite durch fleischlose Ernährung in Stillzeit und Schwangerschaft hinweist.
Ca. 10 % aller Österreicher sind Vegetarier, 1 % davon Veganer.
Gründe für den Verzicht auf Fleisch und tierische Produkte sind Tier- und Umweltschutz sowie gesundheitliche Vorteile. Fleischlose Ernährung reduziert das Risiko für ernährungsmitbedingte Erkrankungen wie Adipositas, Typ 2 Diabetes, Hypertonie, koronare Herzkrankheiten und rheumatoide Erkrankungen. Jedoch steigt bei veganer- also rein pflanzlicher- Ernährung das Risiko einer Nährstoffunterversorgung von Mutter und Kind.
Vitamin B12
Vitamin B12 ist fast nur in tierischen Lebensmitteln enthalten. Pflanzliche Quellen die als vegane Vitamin B12 Varianten angeboten werden enthalten das inaktive Vitaminanalogon und können daher einen ausreichende Versorgung nicht gewährleisten. Vitamin B12-Mangel entwickelt sich schleichend über Jahre und kann daher lange Zeit unentdeckt bleiben. Schwangere und Stillende mit vegetarischer und veganer Ernährung ohne ausreichende Supplementierung haben ein Risiko für Vitamin B12 Mangel. Aufgrund des zu niedrigen Gehalts an Vitamin B12 in der Muttermilch sind daher voll gestillte Säuglinge einer Vitamin B12- defizienten Mutter besonders gefährdet, schwere und irreversible Schädigungen in den ersten Lebensmonaten zu erleiden: Diese sind gekennzeichnet durch muskuläre Hypotonie, Trinkschwierigkeiten, Gedeihstörung bis hin zu Krampfanfällen. Mit der Hilfe von sensitiven Laborwerten kann frühzeitig ein Vitamin B12-Mangel bei Mutter (und auch beim Kind) diagnostiziert werden:
Die 3 Stadien des Vitamin B12 Mangels:
Stadium 1: Keine klinischen Zeichen, der Speicher in der Leber entleert sich langsam über mehrere Jahre. Hier zeigt sich laborchemisch bereits ein erniedrigter Holo Trans Cobalamin (HoloTC)- Wert im Blut der Mutter. HoloTC stellt die aktive Form des Vitamin B12 im Körper dar. Achtung: Die Analyse von Vitamin B12 im Serum ist zur Detektion eines Vitamin B12-Mangels nicht aussagekräftig und daher nicht geeignet!
Stadium 2: Speicher sind leer, HoloTC ist erniedrigt und zusätzlich ein weiterer Parameter- die Methylmalonsäure (MMA) erhöht. MMA ist eine organische Säure die bei HTC-Mangel anfällt und beim Säugling im Urin oder Blut nachgewiesen werden kann (im Rahmen eines „erweiterten Stoffwechselbasisscreenings“).
Stadium 3: hämatologische und neurologische Störungen werden manifest, zusätzlich ist Homocystein im Blut erhöht. Bei jedem Neugeborenen in Österreich wird zwischen der 36. und 72. Lebensstunde das Stoffwechselscreening (PKU) abgenommen. Diese Untersuchung inkludiert ein Screening auf Vitamin B12 Mangel. (Im deutschen Neugeborenen Screening ist diese Untersuchung nicht enthalten) Jedoch bietet ein unauffälliger PKU keine 100%ige Sicherheit, da der untersuchte Marker zum Zeitpunkt der Abnahme noch nicht auffällig sein muss. Daher sollte bei Verdacht eines Vitamin B12- Mangels zusätzlich eine Blutabnahme bei der Mutter (Analyse von Holo-TC) erfolgen und eine Untersuchung der MMA beim Kind in Erwägung gezogen werden.
Omega-3-Fettsäuren
Besonders wichtig für die Reifung des kindlichen Zentralnervensystems und der Netzhaut ist die tierische Ω 3 Fettsäure DHA (Docosahexaensäure) welche ausschließlich in Fisch zu finden ist und daher bei vegetarischer und veganer Ernährung fehlt. Etwas DHA kann im Körper aus der pflanzlichen Ω 3 Fettsäure ALA (Alphalinolensäure, u.a. enthalten in Leinöl) umgewandelt werden, ist jedoch nicht bedarfsdeckend. Der DHA-Gehalt der Muttermilch korreliert mit der DHA-Aufnahme aus der Nahrung. Daher sollte eine geeignete Supplementierung zB mit angereicherten Ölen erfolgen.
Calzium
Die Calziumversorgung kann insbesondere bei Veganerinnen durch den fehlenden Konsum von Milchprodukten verringert sein. Gute Calziumlieferanten sind Lebensmittel wie Brokkoli, Rucola, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen sowie calziumreiche Mineralwässer. Die Muttermilch ist hinsichtlich des Calciumgehalts für den Säugling immer bedarfsdeckend (also unabhängig von der Ernährungsweise), da es während der Laktation zu einer erhöhten Calciummobilisation aus dem Knochen kommt.
Vitamin D
Vitamin D3 wird vom Körper selbst durch Sonnenlichtbestrahlung produziert, weshalb die Vitaminaufnahme mit der Nahrung eine untergeordnete Rolle spielt. Vitamin D3 ist in tierischen Lebensmitteln wie Ei, fetter Fisch und Milch enthalten. Pflanzliche Lebensmittel wie Avocados enthalten nur die inaktive Vorstufe des Vitamin D (Vitamin D2) und sind biologisch nicht wirksam. Fehlt die Sonne und somit körpereigene Bildung, so sollte eine Vitamin D-Supplementierung in Schwangerschaft und Stillzeit erfolgen. Alle Säuglinge erhalten in Österreich Vitamin D3 bis über den 2. Lebenswinter.
Eisen
Eisenmangel ist der häufigste Mikronährstoffmangel weltweit. Betroffen sind in erster Linie Frauen im gebärfähigen Alter und Kinder. Die Eisenaufnahme ist sowohl bei Vegetarierinnen und Veganerinnen gut, allerdings ist das Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln (Hämeisen) schlechter verwertbar als Eisen aus tierischen Quellen (Nonhämeisen). Der Zusatz von Vitamin C oder Zubereitungsmethoden von Getreide und Hülsenfrüchten kann die Eisenbioverfügbarkeit verbessern.
Protein
Von den 20 Aminosäuren die unser Körper für den Stoffwechsel braucht sind 9 essentiell und müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. Eiweiß aus tierischen Quellen enthält alle 9 essentiellen Aminosäuren. Vegetarische Ernährung ist hinsichtlich der Proteinaufnahme in Schwangerschaft und Stillzeit bedarfsdeckend. Rein pflanzliche Eiweißquellen enthalten jedoch nicht alle essentiellen Aminosäuren. Bei veganer Ernährung müssen daher Lebensmittel sorgsam kombiniert und auf eine ausreichende Energiezufuhr geachtet werden.
Jod
Jod ist ein wichtiger Bestandteil der Schilddrüsenhormone und für das fetale Wachstum und die reguläre Gehirnentwicklung wichtig. In Österreich wird Speisesalz seit 1963 jodiert und stellt somit die wichtigste Jodquelle in der Ernährung dar. Die Verwendung von jodiertem Salz und damit zubereiteten Speisen sichert eine ausreichende Versorgung.
Zusammenfassung
Die Ernährungskommission der ÖGKJ kann die rein pflanzliche Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit nicht empfehlen, da das Risiko einer Vitamin B12-Unterversorgung ohne gut kalkulierte Nahrungsergänzung zu hoch ist. Besteht der Wunsch sich vegan zu ernähren, so sind Kenntnisse über Zufuhr und Bedarf von kritischen Nährstoffen sowie eine interdisziplinäre Betreuung (StillberaterIn, DiätologIn, ÄrztIn) erforderlich.