News Frühjahr 2022
Hier geht es zur kompletten Ausgabe News Frühjahr 2022
Eine Kinderwunschbehandlung stellt betroffene Paare häufig vor viele physische und emotionale Herausforderungen. Nicht selten liegt eine mehrjährige Odyssee hinter ihnen, die vielfach auch als Leidens- und Leistungsdruck empfunden wird. Paare, vor allem aber Frauen fühlen sich oft wie „besetzt“ von diesem Thema, häufig stellt sich auch Wut und Enttäuschung ein, weil der Körper nicht so funktioniert wie er soll und Therapieversuche scheitern. Mütter beschreiben die Situation in Worten wie: „… Ständig das Ziel vor Augen haben und funktionieren müssen…“ „Das Leben in der Fülle und Leichtigkeit zu erleben war wie blockiert …“. Reproduktionsmedizin fordert vor allem von Frauen ein hohes Maß an Disziplin. Oft sind die Betroffenen überwältigt von dem, was mit ihnen geschieht und von dem, was sie über sich ergehen lassen müssen, um das Ziel Wunschkind erreichen zu können. Auch Männer belastet diese neue Situation und sie können u.a. das Gefühl haben, kein vollwertiger Mann zu sein. Studien belegen, dass die Diagnose Unfruchtbarkeit deutliche Auswirkungen auf Paare hat und sie wird manchmal als „die bedrückendste Erfahrung ihres bisherigen Lebens“ beschrieben (Freeman et. al). Erschwerend kommt oft hinzu, dass Männer und Frauen sehr unterschiedlich mit dieser Situation umgehen und unterschiedliche Coping- Strategien haben. Häufig wollen sich Männer zurückziehen, während Frauen reden „müssen“. Nicht selten entstehen dadurch zusätzliche Spannungen und selbst emotional stabile Paare können in dieser Lebensphase an den Rand der Belastungsfähigkeit kommen …
Diese psychoemotionalen Herausforderungen nach einer Kinderwunschbehandlung können sich im Folgenden auch auf den gesamten Schwangerschaftsverlauf und die Stillbeziehung auswirken.
Auswirkung auf die Schwangerschaft
Durch die bahnbrechenden Fortschritte in der Reproduktionsmedizin kommt es glücklicherweise in der Mehrzahl der Fälle zu einer erfolgreichen Entstehung einer Schwangerschaft. Die Angst vor Mehrlingsschwangerschaften und Frühgeburten führt jedoch oft zu einem ängstlicheren Umgang mit der Schwangerschaft. Die Rate der Risikoschwangerschaften nach IVF/ICSI ist nachweislich erhöht, und die Furcht vor Komplikationen, Fehlbildungen und die Angst vor daraus resultierenden Trennungen von Mutter und Kind können sehr belastend für die Paare sein.
Auswirkung auf das Bindungsverhalten
Verschiedene wissenschaftliche Arbeiten haben sich mit der Mutterrolle nach Sterilitätsbehandlung versus spontaner Konzeption auseinandergesetzt. Die Ergebnisse sind inhomogen. Einige Studien fanden keine Unterschiede, andere zeigten eine bessere Adaptation nach Sterilitätsbehandlung. Andere Arbeiten zeigten weniger Selbstvertrauen in der Mutterrolle und ein erhöhtes Bedürfnis nach Unterstützung. Eine Metaanalyse (Verhaak et. al) aus dem Jahr 2007 konnte jedoch belegen, dass es auf längere Sicht keine gravierenden Unterschiede nach Kinderwunschbehandlung in der Mutter-Kind-Beziehung gibt. Schlussendlich konnte gezeigt werden, dass die Schwangerschaft und die Geburt die entscheidenden Faktoren sind, die zu einer emotionalen Bindung führen.
Auswirkungen auf die Stillzeit
Mütter nach Kinderwunschbehandlung zeigen häufig eine hohe Bereitschaft, eine langfristige Stillbeziehung mit ihrem Kind einzugehen. Sie verfolgen das Ziel einer engen und intensiven Mutter-Kind-Bindung und haben meist einen sehr hohen Anspruch an sich selbst. Frauen, die nach einer Sterilitätsbehandlung ihr langersehntes Baby im Arm halten, stillen signifikant länger als Mütter nach einer Spontankonzeption (Ludwig, 2015).
Es zeigt sich auch, dass manche Mütter nach Kinderwunschbehandlung Schwierigkeiten haben, den Fokus wieder auf eigene Bedürfnisse und Wünsche zu legen. Manchmal setzen sich auch die (Dauer-)Anspannung und die Sorge um das Kind fort und es kommt zur sog. „Overprotection“. (Die Begriffe Überbehütung und Überfürsorglichkeit bezeichnen allgemein Verhaltensweisen von Eltern, bei denen das Bedürfnis, ihr Kind zu beschützen und zu versorgen, übermäßig ausgeprägt ist.)
Was stärkt die stillende Mutter/die Familie
Wesentlich sind immer eine einfühlsame Betreuung und eine achtsame Wortwahl! Verständnis und die Anerkennung individueller Bedürfnisse und Ängste stehen im Vordergrund und sollten immer berücksichtigt werden.
Mütter können durch das Stillen ihres Kindes Selbstwirksamkeit erleben und durch häufige Oxytocin Ausschüttung Entspannung finden. Frauen sollten sich ihrer (unbewussten) Daueranspannung bewusst werden, wieder aktiv für sich sorgen und den Fokus auf Geglücktes lenken und nicht auf Defizite.
Eine Vorbereitung auf das Stillen durch geschultes Personal bringt immer Vorteile für jede Stillbeziehung (nicht nur für Mütter nach einer Kinderwunschbehandlung). Klare Informationen bringen Erleichterung, Vertrauen und Entspannung, der oft hohe Erwartungsdruck kann wesentlich gesenkt werden.
Das Wissen um Milchbildung, Stillzeichen, Stillfrequenz (Clusterfeeding), Bindungsförderung, Stillpositionen, buntes Stillen, Stillgruppen usw. gibt den Müttern die notwendige Kompetenz und Bestätigung.“ … Sich begleitet wissen gibt Sicherheit und Halt …“.
Wenn Mütter erleben, dass Kolostrum bereits da ist und ihr Körper Milch produzieren kann, bringt dies das oft langersehnte Selbstvertrauen zurück. Wiedergefundenes Vertrauen in sich selbst ist heilsam und entspannend und der Fokus rückt leichter auf das Gelingende und die eigene mütterliche Kompetenz.
Stillen ist und bleibt nach wie vor die beste Bindungsförderung, denn wenn das Bindungshormon Oxytocin beim Stillen fließt, fließt auch die Liebe zwischen Mutter und Kind.