News Herbst 2021
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Obwohl Psychische Erkrankungen gerade angesichts der weltweiten Covid-19 Pandemie mehr denn je auf dem Vormarsch sind, so sind sie zugleich nach wie vor mit einem gesellschaftlichen Tabu behaftet. Dieses Paradoxon führt dazu, dass die berechneten Zahlen mit Vorsicht zu verwerten sind. Depressionen werden hinsichtlich ihrer Schwere häufig unterschätzt.4 Etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann erkrankt im Laufe des Lebens an einer depressiven Episode. Das bedeutet, Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Der österreichische Depressionsbericht geht davon aus, dass aufgrund der hohen Dunkelziffer die Zahlen deutlich über den berechneten liegen. 1 Weltweit sind rund 350 Millionen Menschen von einer Depression betroffen. In Österreich sind es – Schätzungen der WHO zufolge 5-6% der Bevölkerung -das entspricht etwa einer halben Million Menschen!2 Schon vor der Pandemie wurde in Österreich ein bedrohlicher Anstieg psychischer Erkrankungen um rund 10% verzeichnet. 3 Nicht ohne Grund wird die Depression daher weltweit zu den großen Volkskrankheiten gezählt.
Psychische Erkrankungen machen auch vor Frauen in der Schwangerschaft und in der Zeit nach der Geburt nicht halt. Depressive Störungen betreffen ca. 10–15 Prozent aller Schwangeren und Frauen nach einer Entbindung. Sie sind depressiven Episoden in anderen Lebensphasen symptomatologisch sehr ähnlich, wobei Angst und Paniksymptome bei postpartalen Depressionen insgesamt ausgeprägter sind. Im Folgenden soll ein Überblick über die postnatalen Störungen gegeben werden.
Der Baby-blues – lästig, aber harmlos
Der Name „Baby-blues“ ist ein umgangssprachlicher Begriff in der englischen Sprache, wobei „blues“ so viel wie „Melancholie“ bedeutet. Der Baby-blues ist im Vergleich zu den anderen Störungsbildern nicht behandlungsbedürftig. Er dauert nur wenige Tage an und hat seinen Höhepunkt vom 3. bis zum 5. Tag nach der Entbindung, korreliert somit mit dem physiologischen Abfall der Hormonspiegel nach der Geburt. Allgemein besteht eine erhöhte Empfindlichkeit. Symptomatisch steht eine Stimmungslabilität mit raschem Wechsel zwischen Glücklichsein, Weinen, Reizbarkeit, etc. im Vordergrund. Hilfreich ist das Konzept „Mothering the Mother“, also Ruhe, Abschirmung vor allzu viel Außenreizen, Verständnis und Fürsorge des Partners oder anderer Familienmitglieder. In der Regel klingen die Symptome von selbst ab. Nur in sehr seltenen Fällen, wenn die Symptome mehr als zwei oder drei Tage bestehen, sollte an den Beginn schwerwiegenderer Erkrankungen gedacht werden.
Die Perinatale Depression
Zu peripartalen Depressionen werden sowohl antepartale (Manifestation während der Schwangerschaftsmonate) als auch postpartale Depressionen (Manifestation im Wochenbett) gezählt. Etwa jede 10. Frau erlebt nach der Geburt eines Kindes eine schwere depressive Episode. Wenn eine depressive Vorerkrankung besteht, ist die Häufigkeit sogar noch höher.
Die postnatale Depression (PND) oder auch Wochenbettdepression genannt, hat häufig einen schleichenden Beginn in den ersten Tagen oder Wochen nach der Geburt. Laut Prof.in Dr.in med Anke Rhode, die am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde im Universitätsklinikum Bonn an der Gynökologischen Psychosomatik tätig ist, kann der Beginn sogar auch erst Monate nach der Geburt liegen. 5 Rund 75% treten nach der ersten Geburt auf. Die Dauer ist abhängig vom Schweregrad und kann von Wochen oder sogar mehrere Monate andauern. Im Extremfall kann es auch zu einer Chronifizierung kommen. 2 bis 4% der PNDs verlaufen behandlungsbedürftig. Die Symptome reichen von einer leichten Verstimmung bis hin zu einer schweren Depression. Zu Beginn zeigen sich häufig Schlafstörungen und das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein. Weitere Symptome sind in Tabelle 1 aufgelistet.
Konzentration/Gedächtnis | Konzentrationsstörungen, manchmal Gedächtnisprobleme |
Denken | Grübeln, Denkverlangsamung, Denkhemmung |
Antrieb | Lust- und Interesselosigkeit, Antriebsminderung, Apathie, sozialer Rückzug, Bewegungsunruhe |
Affektivität | Depressivität, Versagens- und Schuldgefühle, als unzureichend empfundene Mutter-Kind-Gefühle, innere Unruhe, Gereiztheit, Aggressivität |
Ängste | Unbestimmte Angst, Panikattacken |
Zwang | Zwangsgedanken und -impulse, z.B. dem Kind etwas anzutun, selten Zwangshandlungen z.B. Waschzwang |
Schlaf | Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Früherwachen |
Suizidalität/Autoaggressivität | Lebensmüde Gedanken, Suizidgedanken, selten Suizidhandlungen, selten selbstverletzende Handlungen |
Somatische Symptome | Müdigkeit, Appetitminderung, Gewichtsverlust, Druckgefühl in der Brust, Kloßgefühl im Hals, vielfältige andere körperliche Missempfindungen und Schmerzen |
Produktiv-psychotische Symptome | Nur bei schwerer psychotischer Depression, depressiver Wahn z.B. Schuldwahn |
Tab.1: Mögliche Symptome der postnatalen Depression
Auf der Suche nach den Ursachen
Im österreichischen Depressionsbericht aus 2019 heißt es dazu: „Depressive Erkrankungen werden heute als multifaktorielles Geschehen gesehen, zu dessen Entstehung neurobiologische, psychische und soziale Faktoren in komplexer Wechselwirkung beitragen. […] Nach den sogenannten Vulnerabilitäts-Stress-Modellen entstehen depressive Störungen vor dem Hintergrund der Veranlagung einer Person (Vulnerabilität, z. B. durch familiäre Vorbelastung oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale) durch die Interaktion von akuten oder chronischen Belastungen (auslösende Faktoren, z. B. Stress, Armut, Gewalterfahrung, Arbeitslosigkeit) mit neurobiologischen (z. B. Störungen der Neurotransmission und der neurohormonalen Regulation, neuroendokrinologische Störungen) bzw. psychischen Veränderungen (z. B. unverarbeitete Trauer oder Verlusterlebnisse) sowie anderen modifizierenden Faktoren (z. B. Vorerkrankungen, mangelnde emotionale Unterstützung).“ Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass etwa 30% des Risikos an einer Depression zu erkranken, vererbt ist.
Ein besonderes hohes Risiko besteht vor allem bei früheren depressiven Episoden, Eheproblemen, wenig Unterstützung bei gleichzeitig hohem Leistungsanspruch und geringem Selbstwert.
Auswirkungen
„Perinatale Depressionen wirken sich nicht nur auf die betroffene Frau und Mutter, sondern auch auf die weitere Entwicklung des Embryos bzw. Kindes, auf die Partnerschaft und die Familie aus. Unbehandelte postpartale Depressionen tendieren häufig zu Persistenz, nicht selten bis weit über das erste postnatale Jahr hinaus. Die negativen Konsequenzen wie partnerschaftliche Probleme, Familienkonflikte oder finanzielle Engpässe sind vielfältig, komplex und wirken lange Jahre nach. Die nachteiligen Effekte auf den frühen Bindungsprozess, eine verzögerte und beeinträchtigte affektive und kognitive Entwicklung des Kindes lassen sich bis ins Jugendalter hinein empirisch nachverfolgen.“
Postnatale Psychose
Im Vergleich zum eher schleichenden Beginn bei der PND, beginnt die Psychose meist plötzlich- in der Regel 2 bis 14 Tage nach der Entbindung. Die Postnatale Psychose ist im Vergleich zu den anderen psychischen Störungen selten, dafür ist in den meisten Fällen eine stationäre Behandlung erforderlich. Bei einer Psychose kommt es – ähnlich wie bei der PND – zu Konzentrationsstörungen, irreale Gedanken und Stimmungsschwankungen. Der große Unterschied liegt aber in der verändert wahrgenommenen Realität. Im Gegensatz zur PND ist die Stimmung meist gehoben, je nach Ausmaß als hypomanisch oder manisch bezeichnet. Dazu kommen Symptome wie Gedankenrasen, Antriebssteigerung, vermindertes Schlafbedürfnis und Größenwahn.
Eine Frau, bei der der Verdacht auf eine postnatale Psychose besteht, muss immer – und zwar kurzfristig – einem Psychiater vorgestellt werden, da sie unter dem Einfluss der psychotischen Symptome nicht mehr in der Lage ist, ihre Handlungen richtig einzuschätzen. Es kommt auch vor, dass sie das Kind unangemessen behandelt, es beispielweise wie eine Puppe angreift oder Stimmen hört, die ihr befehlen das Kind aus dem Fenster zu werfen.
Je früher die Behandlung (meist Antipsychotika, früher auch als Neuroleptika bezeichnet) beginnt, desto schneller klingen die Symptome auch wieder ab. Deshalb ist ein beherztes und vor allem rasches Einschreiten, manchmal leider auch gegen den Willen der Mutter, erforderlich.
Um die erlebte Psychose zu verarbeiten, kann eine anschließende psychotherapeutische Behandlung sinnvoll sein. Die Mutter muss verkraften und bewältigen, was da mit ihr passiert ist. Auch für eine erneute Schwangerschaft muss eine entsprechende Vorbereitung und eine eventuelle medikamentöse Vorbeugung getroffen werden, da das Risiko einer Neuerkrankung als hoch einzuschätzen ist.
Post Traumatische Belastungsstörung (PTBS)
Bei der PTBS gibt es ein besonders schlimm erlebtes Ereignis, welches wie ein Film immer und immer wieder vor dem inneren Auge abläuft. Das können ganze Filmsequenzen, einzelne Szenen oder auch einzelne Bilder sein, die häufig auch als „Flashbacks“ bezeichnet werden.
Besonders Frauen in Industrienationen gehen häufig gut informiert und mit jeder Menge Erwartungen in eine Geburt und sind dann nicht selten enttäuscht, wenn die Geburt nicht wie geplant verläuft. Sie quälen sich mit Versagensgefühlen, und das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefert-seins dringt oft tief in die Seele der betroffenen Frau. Die Haltung und Sprache, mit der Pflegende, Gynäkolog*innen und Hebammen den Frauen gegenübertreten, kann als gar nicht wichtig genug betont werden. Die Begleitung im Geburtsprozess hat erheblichen Anteil, wie Länge und Schwere der Wehen oder Scham erlebt werden.
Manchmal klingen die Symptome, zu denen auch ein Gefühl des inneren Betäubt-seins, erhöhte Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen gehören, auch nach Wochen nicht ab. Dann, und wenn Symptome einer Depression dazu kommen, sollte auf jeden Fall eine psychiatrische Begutachtung erfolgen. Die depressiven Symptome werden häufig zu schweren lebensmüden Gedanken und weisen eine hohe Komorbidität auf. Idealerweise erhält die Frau Unterstützung durch eine Psychotherapie (am besten bei einem/einer Traumaspezialist*in) und bei depressiver Symptomatik auch durch die Verordnung von Antidepressiva.